An
Frau Dr. med. A.- K. Schmidt , Dr. med. K. Weber
Guten Tag.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht wirklich, wie
ich anfangen kann.
Ich möchte Ihnen mit diesen Zeilen gerne bewusst
machen, was derzeit in mir vorgeht.
Wie Sie wissen, bin ich 19 Jahre alt, habe
Adipositas, eine Doppelniere und all die anderen, unschönen Dinge, die Sie mir
bei jedem Aufenthalt wieder bewusst machen. Mir bewusst machen, wer ich
eigentlich bin. Jemand, der sich unverstanden fühlt. Unverstanden in Anbetracht
dessen, dass Sie Ihr Gespräch mit mir mit den Worten „aber für 50% bist du halt
leider viel zu fit“ abschließen wollen. Was würde mir auch anderes übrig
bleiben, als Ihre Meinung zu akzeptieren. Denn wer sollte mich besser kennen
als all die Menschen, die mich zurzeit einmal im Jahr zu Gesicht bekommen? Wer
sollte besser verstehen können, dass ich unter meiner eigenen Freizeit zusammen
breche? Dass ich herausfinden musste, dass ich wahrscheinlich niemals fähig
sein werde, eine Vollzeitstelle anzunehmen, ohne in Depressionen zu verfallen,
weil Ich dem nicht stand halte. Ja, wie sollten Sie dies auch in all Ihrem
Stress erkennen können. Ihre Tests laufen ein paar Minuten, eine halbe Stunde,
oder vielleicht eine Stunde und dann bekomme ich eine Pause. Bekomme ich im
wirklichen Leben eine Pause? Eine Auszeit vom Leben? Nein.
Sie etwa? Ich nehme an, Ihre Antwort wird die
Selbe sein.
Vor knapp vier Jahren wurde ich in der Klinik
operiert, für die Sie arbeiten. Ich bin all den Ärzten sehr dankbar dafür, dass
sie es geschafft haben, einen Teil von meinem Tumor zu entfernen und zu
schaffen, was zwei andere Kliniken für fast Unmöglich hielten. Es zu schaffen,
dass ich auch ohne Tabletten keine epileptischen Anfälle mehr haben werden. Sie
haben das Unmögliche möglich gemacht. Und jetzt? Jetzt ist das Grobe ja
geschafft, nicht wahr? Also warum nicht einfach dankbar sein. Ich habe
anerkannte 30% Behinderung. Wissen sie, was mir das bringt? Nichts. Ein
versuchtes, verständnisvolles Nicken von all jenen, denen ich davon erzähle.
Ich bekomme nicht mal einen Ausweis dafür, wenn ich auf ein Konzert oder eine
öffentliche Vorstellung gehen möchte, damit auch fremde Menschen mir glauben,
dass ich WIRKLICH ein Handikap habe. Diese 30% sind dafür, was ich an manchen
Tagen durchmache, ein Witz.
Kennen Sie das, wenn sie sich von Ihren Freunden
abkapseln, weil sie wissen, dass Sie ihnen niemals gerecht werden könnten?
Nicht etwa, weil sie zu langweilig sind. Nein. Weil sie merken würden, wie
deprimiert man selbst ist, wenn man realisiert, dass man noch nie eine
wirkliche Jugend hatte. Alles an einem vorbei gezogen. Und eben weil ich ja in
Ihren Augen so fit bin, realisiere ich das alles. Ich merke, wenn ich überflüssig
werde. Ich merke, dass das Mitleid in Ihren Augen, wenn Sie mir sagen, dass ich
zu keiner Welt dazu gehöre, kein echtes
Mitleid ist. Ich weiß, zu was ich im Stande bin. Aber nur, weil ich
meine Augen gut verdrehen, meine Backen aufblasen und meine Zähne zeigen kann,
heißt das nicht, dass ich 10 Stunden Dienste überstehe. Das heißt nicht, dass
ich nach einem 8 Stunden Dienst noch fähig bin etwas mit meinen Freunden zu
unternehmen. Ich würde gerne. Aber die Realität holt mich ein und mein Kopf macht mir klar, dass ich dazu nicht mehr im
Stande bin. Und ich enttäusche sie immer wieder aufs Neue. Das ist mir bewusst
und es tut mir so leid.
Ich weiß, wie normal ich auf Sie wirke, wenn ich
auf dem Stuhl vor Ihnen sitze und sage, dass ich keine Anfälle mehr habe und
wieder mal eine Ausbildung machen möchte. Sie denken sich dann bestimmt ; ja,
sie scheint normal zu sein, die Anderen brauchen mehr Hilfe und Anspruch.
Brauchen sie auch. Das schließt dennoch nicht aus,
dass in mir drinnen nicht alles so normal ist, wie es von Außen scheint. Sie
schreiben, dass man im EEG genau erkennen kann, dass wenn ich wach bin, die
rechte Seite meines Gehirns nicht so schnell ist, wie die Linke. Wissen Sie,
wie lange ich gebraucht habe, all die Namen der Bewohner zu kennen, die ich
derzeit betreue? Wissen Sie, dass ich solch eine panische Angst vor dem
Vergessen habe, dass ich alle Erinnerungen die ich greifen kann, sofort aufhebe
und in einer Box aufbewahre? Wissen Sie, wie es sich anfühlt, in keiner Welt
als Normal zu gelten? Denn sobald ich dieses Krankenhaus verlasse, in dem ich
für Sie als „zu fit“ gelte, trete ich zurück in mein Leben, in dem ich nicht
normal sein kann, weil ich nicht als vollwertiger Mensch funktioniere. Ja, ich
fühle mich so wie ich bin, nicht als vollwertiger Mensch. Und ich brauche
Hilfe, um ein richtiges Leben zu führen und das weiß ich.
Wieso
erkennt ihr System nicht auch das, was nicht offensichtlich ist?
Ich bin stolz darauf, es geschafft zu haben. Stolz
darauf, mich irgendwie durch das Leben zu schleppen. Aber schleppen ist nicht
leben.
Und hat leben nicht jeder von Uns verdient?